Die 1000 Euro Generation - ein Film von Massimo Venier. Kinostart: 19. Juli 2012 - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Kunst + Kultur



AVIVA-BERLIN.de im November 2024 - Beitrag vom 18.07.2012


Die 1000 Euro Generation - ein Film von Massimo Venier. Kinostart: 19. Juli 2012
Katarina Wagner

Matteo, dreißig Jahre alt, Studium der Mathematik, Spezialgebiet: Statistik. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass er in einer Bruchbude wohnt und jederzeit aus seiner prekären Arbeitsstelle...




...entlassen werden kann? Im heutigen Italien liegt sie sehr hoch. Massimo Venier verpackt das aktuelle Thema der perspektivlosen jungen BerufseinsteigerInnen, hierzulande oft "Generation Praktikum" genannt, in eine leichte romantische Komödie.

Als Kind hatte sich Matteo Moretti gewünscht, mal ein eigenes Haus zu besitzen. Morgens würde er neben seiner Liebsten zu seinem Lieblingslied aufwachen und zu seiner Arbeit fahren. Mit 30 Jahren wollte er es eigentlich schon geschafft haben. Stattdessen gehört er zu der Generation junger, motivierter HochschulabsolventInnen, denen es schlechter geht als den eigenen Eltern. Die zerfallende Wohnung muss sich Matteo mit zwei MitbewohnerInnen teilen, er arbeitet mit einem befristeten Vertrag in einer Firma, die ihm nicht gefällt und noch dazu selbst Probleme hat und seine hart arbeitende Freundin sieht er auch nie.

Wie geht er damit um? Wichtige Entscheidungen im Leben macht er vom Ausgang von Basketball- oder Playstationspielen abhängig und redet sich ein, dass die Realität genauso eine Illusion sei, wie Zukunftsträume. Matteo ist ein klassischer Junge im Erwachsenenkörper. Der Schauspieler Alessandro Tiberi passt mit seinem unschuldigen, jungenhaften Gesicht und seiner so schön verwirrt-verzweifelter Mimik perfekt in diese Rolle.

Als der Held kurz davor steht, Wohnung und Job zu verlieren, begegnet er zwei Frauen, die seinen Blick wieder schärfen können– allerdings in zwei völlig verschiedene Richtungen. Wie in jeder guten romantischen Komödie muss sich der Protagonist zwischen den beiden entscheiden, die gleichzeitig für zwei unterschiedliche Lebensarten stehen.
Es geht um Selbstverwirklichung oder Selbstaufgabe im Tausch für finanzielle Sicherheit. Eine Frage, die durch die prekäre Situation der neuen Generation von BerufseinsteigerInnen, beziehungsweise Berufsteinstiegswilligen, nicht mehr so leicht zu beantworten ist.
Der Regisseur Massimo Venier wollte genau das thematisieren:

"Als ich so um die dreißig war, in den neunziger Jahren, gab es noch die Möglichkeit, eine Festanstellung zu finden – in einer Bank beispielsweise –, und es stellte sich eigentlich nur das Problem: `Will ich das überhaupt?` In diese Situation kommen die jungen Leute heutzutage schon gar nicht mehr. Der Film beschreibt, wie dieses ganze Drama um den ungesicherten Arbeitsplatz eine Lebensphase überschattet, in der man eigentlich seine Träume leben sollte."

Der Film ist keine soziologische Studie, sondern liefert vor allem eine unterhaltsame Story, die eben im heutigen Italien unter jungen AkademikerInnen angesiedelt ist. Venier hat sich dabei auf die klassische Struktur einer Liebeskomödie verlassen – untermalt von zeitgenössischer Popmusik, birgt die Handlung keine Überraschungen, aber durchaus ein paar gute Lacher.

Zum Regisseur: Massimo Venier wurde 1967 in Varese geboren. Fürs Fernsehen arbeitete er als Autor und Regisseur, bevor er 1997 seinen ersten sehr erfolgreichen Spielfilm Tre uomini e una gamba für das Kino drehte. Er arbeitete in seinen meisten Filmen mit dem Komiker-Trio "Aldo, Giovanni & Giacomo" zusammen. Generazione mille Euro ist sein siebter Spielfilm.

AVIVA-Tipp: Originell ist der Plot nicht und auch die Charaktere scheint mensch schon zu kennen. Der Film zeichnet sich vor allem durch seine Nähe zum Puls der Zeit aus. Er thematisiert die Situation der vielen jungen EuropäerInnen, die sich mit Jobs oder Zeitverträgen durchschlagen müssen, nimmt das Problem aus trockenen Statistiken und Zeitungsberichten heraus und gibt der "Generazione 1000 Euro" im Rahmen einer leichten Liebeskomödie verschiedene Gesichter und Geschichten.

Hintergrund: Die "verlorene Generation"

Der Film basiert lose auf dem gleichnamigen "reality book" von Antonio Incorvaia und Alessandro Rimassa aus dem Jahr 2005. Die zwei Italiener haben sich selbst lang mit Praktika und befristeten Arbeitsverträgen über Wasser gehalten und ihre Erfahrungen erst in einem Blog beschrieben, dann zusammengefasst zu einem Roman publiziert. Anfangs war der Text als kostenloser Download im Internet zu haben. Schnell erregten die zwei Autoren großes Aufsehen (etwa 23.000 Downloads in nur drei Monaten – mittlerweile ist der Roman als Buchform erschienen und unter Anderem auf deutsch übersetzt worden), schließlich ist das Thema Jugendarbeitslosigkeit und arbeitslose AkademikerInnen in vielen Ländern Europas ein brandaktuelles Thema.
Laut einer Studie der EU-Statistikbehörde Eurostat lag die Arbeitslosenquote in der EU im März 2012 bei 10,2% (Deutschland 5,6%). Die Jugendarbeitslosigkeit betrug 22,6%, das sind mehr als ein Fünftel der 18-25-Jährigen. In Spanien und Griechenland steht fast jeder zweite junge Erwachsene ohne Arbeit da. In Italien liegt der Anteil bei 31,5 Prozent, wobei sich diejenigen, die eine Stelle finden, mit prekären Verhältnissen, befristeten Arbeitsverträgen nach dem Prinzip "Last in, first out" abfinden müssen. Für AkademikerInnen liegt das durchschnittliche Einstiegsgehalt in Italien bei rund 850 Euro netto im Monat. Zwei Drittel der 18- bis 34-Jährigen lebt unter anderem deswegen noch bei seinen Eltern. Beispielsweise in der Finanzkapitale Mailand, wo Massimo Veniers Film spielt, kostet ein WG-Zimmer oft über 400 Euro pro Monat.

In Deutschland sieht die Lage sehr viel besser aus. Hierzulande liegt die Arbeitslosenquote der 18- bis 25-Jährigen bei 7,9%. Die FAZ verkündete 2011 sogar Vollbeschäftigung (2,5% Arbeitslosenquote) bei AkademikerInnen, wobei das erstmal nichts über die Qualität der Arbeitsverhältnisse und die Dauer der Übergangszeit von Hochschule in den Beruf aussagt. Wie Studien über die "Generation Praktikum" belegen, stecken auch die hoch Qualifizierten zu lange in unsicheren Arbeitsverhältnissen und werden beispielsweise als VolontärInnen oder Trainees als billige Arbeitskräfte eingesetzt, wobei eine Übernahme in eine feste Stelle oft ausbleibt.

Die 1000 Euro Generation
Original: Generazione mille Euro
Italien 2009
101 Minuten, Farbe
Italienische Originalfassung mit deutschen Untertiteln
Verleih: Kairos Filmverleih
Kinostart: 19. Juli 2012

Regie: Massimo Venier
Buch: Massimo Venier, Rederica Pontremoli
Kamera: Italo Petriccione
Schnitt: Carlotta Cristiani
Ausstattung: Valentina Ferroni
Musik: Giuliano Tavani, Carmelo Travia
ProduzentInnen: Giuseppe Pedersoli, Andrea und Raffaela Leone

DarstellerInnen:
Matteo: Alessandro Tiberi
Beatrice: Valentina Lodovini
Angelica: Carolina Crescentini
Francesco: Francesco Mandello
Faustino: Francesco Brandi
Professor: Paolo Villaggio
Valentina: Francesca Inaudi
Taxifahrer: Roberto Citran

Weitere Infos unter

www.kairosfilm.de

www.generazione1000.com Die Website zum Buch (italienisch / englisch)

Der Buchautor Alessandro Rimassa im Interview mit der ZEIT

Jung, Europäer, chancenlos. Artikel der ZEIT

In Deutschland sind Akademiker vollbeschäftigt – Artikel der FAZ

Fünf Jahre Generation Praktikum. Happy Birthday liebes Uni Prekariat. - Ein Überblick auf Spiegelonline

Pressemitteilung Eurostat März 2012

Weitersehen auf AVIVA-Berlin

Résiste. Aufstand der Praktikanten – ein Film von Jonas Grosch

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin

Wir haben keine Angst. Gruppentherapie einer Generation – ein Roman von Nina Pauer


Kunst + Kultur

Beitrag vom 18.07.2012

AVIVA-Redaktion